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Syrische Flüchtlingskinder – Verlust von Bildung einer ganzen Generation

 |  Bild:  © Hunterbracewell - Dreamstime.com

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„Ich war einer der Besten in meiner Klasse, und ich mochte es wirklich, lesen zu lernen.“ Seit drei Jahren geht der neunjährige Mohammed nicht mehr zur Schule. 2012 floh er mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg aus Syrien in die Türkei. Nun arbeitet er täglich 11 Stunden, um das Überleben der Familie zu sichern. Weil die meisten der Flüchtlinge keine Arbeitserlaubnis haben, sind viele Familien gezwungen, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. Das will die Türkei nun ändern: Syrische Flüchtlinge sollen schneller und leichter eine Arbeitserlaubnis erhalten. Das könnte eine große Chance für syrische Kinder sein, die oft seit vier oder fünf Jahren keine Schule mehr besuchen können und stattdessen arbeiten. 1)

Das Versprechen, den Zugang zum Arbeitsmarkt für syrische Flüchtlinge zu erleichtern, folgte auf die Forderung der EU, den Flüchtlingsstrom nach Europa zu begrenzen. Im Gegenzug für die Bemühungen der Türkei erhält das Land drei Milliarden Euro sowie das Versprechen, die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei wiederaufzunehmen. Einer der Pull-Faktoren für die Emigration nach Europa ist das Verlangen vieler Eltern, ihren Kindern eine umfassende Bildung zu ermöglichen. Die finanzielle Unterstützung soll die Türkei dazu verwenden, syrischen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. 2)

Solange die Eltern keine Arbeitserlaubnis haben, arbeiten sie oft im informellen Sektor. Dort werden die Flüchtlinge schlecht bezahlt und schuften unter widrigsten Bedingungen. In dieser illegalen Erwerbstätigkeit bleibt es den Arbeitern verwehrt, über Arbeitsbedingungen zu diskutieren. Da viele der Familien in den Nachbarstaaten von Syrien in extremer Armut leben, sehen sie sich oft gezwungen, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. Die Ausbeutung ist immens: Viele Flüchtlingskinder arbeiten 11 Stunden täglich, sieben Tage die Woche, und das für weniger als einen Euro pro Stunde Schwerstarbeit. Die Familien sind abhängig vom Einkommen ihrer Kinder. 3)

Diese Entwicklung führt zu erheblichen Risiken: Die Kinder erleiden durch die oft schwere, lange Arbeit enorme gesundheitliche Schädigungen. Die seelische und soziale Entwicklung wird massiv beeinträchtigt: Die Kinderarbeiter sind extrem jung, einige sind erst sechs Jahre alt. Außerdem ist es ihnen nicht mehr möglich, die Schule zu besuchen. 4)  Syriens Bildungssystem galt lange als Vorzeigemodell des Nahen Ostens: Während vor dem Krieg nahezu alle Kinder regelmäßig zur Schule gingen, können nun mindestens drei Millionen syrische Kinder keine Schule mehr besuchen. Die Dunkelziffer könnte noch sehr viel höher sein. 3)

„Nach fast fünf Jahren Krieg in Syrien liegt das Leben einer ganzen Generation von Kindern und Jugendlichen in Trümmern“, so Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. 5) Durch den Bürgerkrieg, die Flucht und die teils schwierige Situation in den Zufluchtsstaaten entwickelt sich ein Bildungsdefizit bei den syrischen Kindern. Darin birgt sich die Gefahr, dass eine verlorene Generation an Kindern entsteht, die von harter, gesundheitsgefährdender Arbeit und dem Verlust ihrer Kindheit geprägt ist. So ergibt sich ein Kreislauf aus Armut und Bildungsmangel, der nur schwer zu durchbrechen ist. Für die Zukunft von Syrien und der gesamten Region wäre dies fatal. 6)

Mit einem geregelten Einkommen der Eltern steigt die Chance, dass die syrischen Kinder ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können. Deshalb ist der Vorstoß der Türkei auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings bestehen weiter Hürden für die syrischen Flüchtlingskinder: Die Sprachbarriere und die Schwierigkeit der sozialen Integration sind beim Schulbesuch hoch. Außerdem bleibt die Situation der Flüchtlinge in den anderen Zufluchtsländern wie in Jordanien extrem schwierig: Legale Arbeitsmöglichkeiten für die Eltern fehlen, die Lager sind überfüllt, humanitäre und Bildungseinrichtungen fehlen. So kann momentan nur jedes vierte syrische Kind in den syrischen Nachbarstaaten eine Schule besuchen. 5)

Es bleibt zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft, insbesondere die EU, die syrischen Nachbarstaaten dabei unterstützt, den syrischen Kindern und damit ihren Familien eine Perspektive zu geben. Sonst werden Stimmen wie die der 16-jährigen Rasha, die seit zwei Jahren keine Schule mehr besuchen kann und stattdessen arbeitet, wohl häufiger: „ Wenn ich mir meine Zukunft vor Augen führe, sehe ich nichts.“ 3)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Human Rights Watch: To Get Syrian Kids in School, Let Parents Work – Stand 11.02.2016
  2. Reuters: Turkey plans to introduce work permits for Syrian refugees, minister say – Stand 11.02.2016
  3. Human Rights Watch: „When I Picture My Future, I See Nothing“ – Stand 11.02.2016
  4. Spiegel: Syrische Flüchtlingskinder: Schon Sechsjährige müssen arbeiten – Stand 11.02.2016
  5. Tagesschau: „Das gefährlichste Land der Welt“ – Stand 11.02.2016
  6. Spiegel: Kinder im Krieg: Syriens verlorene Generation – Stand 11.02.2016



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